Klassenfahrt 1957, Bericht von

Rüdiger Maaß und Raimund Delfs

 Vorbemerkungen

aktualisiert 07.10.2015

Rückblickend

sieht man, dass hier die Weiterbildung des Berufes im Vordergrund stand, neben den kulturellen und künstlerischen Eindrücken. Für die von langer Hand durch unsere Reiseführer Herr Puttfarken und Herr Wagner vorbereiteten Besichtigungen, bedanken wir uns herzlich. Es gelang, das Interessante mit dem Lehrreichen zu verknüpfen, so dass wir spielend lernen konnten, ohne dass es zu einer Wiederholung gekommen wäre.

Herr Puttfarken Metallerklasse Staatl. Berufsschule Neumünster 1957

Dank  gilt unserem Busfahrer, Herrn Dehn. Immer konnten wir pünktlich an den Orten sein, an denen man uns erwartete.

Ein Lob sei auch den Führern ausgesprochen, die uns durch die Werke leiteten. Sie beantworteten alle unsere Fragen und verstanden es, komplizierte Arbeitsgänge allen verständlich zu erklären. Abschließend darf man wohl sagen, dass diese Fahrt ein voller Erfolg war, auf den alle Verantwortlichen stolz sein dürfen. Für die Schüler war es ein Erlebnis, das ihren Gesichtskreis in jeder Hinsicht erweiterte.

Von dem Stand der deutschen Stahlindustrie

1 Jahr vor dem Abschluss unserer Lehre zum Werkzeugmacher, 12 Jahre nach Kriegsende konnten wir diese Reise unternehmen. Sie zeugt von unserem hohen Interesse, aber auch von der Aufbauleistung dieser Zeit. Die Bundesrepublik Deutschland erlebte unter Kanzler Adenauer ihren unerwarteten Aufschwung. Der Bericht atmet Freiheit,  Leistungswillen, Aufgeschlossenheit und die Unbeschwertheit der jungen Nachkriegsgeneration. Heute sind die Teilnehmer im Rentenalter, und viele der beschriebenen Schlüsselindustrien sind aus Deutschland verschwunden.

Kai Uwe von Hassel, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein

Kai Uwe von Hassel, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein beim Besuch der Optische Werke Helmecke, Wattenbek 1956

 

Erleben Sie die Orte dieser Reise 1957, aus der Sicht 12 Jahre nach Kriegsende:

1948 Währungsreform

1948 Marshall-Plan-Hilfe

1948 Berlin Blockade

1949 Petersberger Abkommen

1950 Schuman Plan

1952 Montanunion

1952 EVG-Vertrag

1953 17. Juni Volksaufstand in der DDR

1954 Nato-Beitritt 

1955 Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen

1957 Rückgliederung des Saarlandes in die BRD

 1. Tag Mittwoch 22. Mai 1957

Schon lange vor Beginn der Fahrt

Mittagspause 3. Lehrjahr Werkzeugmacher vor dem Werkstor Gerhard Helmecke, Optische Fabrik, Bordesholm-Wattenbekhaben wir uns auf diese Studienfahrt, die uns an den Rhein führen soll, gefreut. Nach unendlich lang erscheinender Zeit ist es nun endlich so weit. Wer an diesem Mittwochmorgen um 06:15 Uhr in Neumünster am Bahnhofsvorplatz vorbeigeht, der kann dort eine Gruppe erwartungsfroher Jungen sehen, die einen schönen, hellgrünen Reisebus der Firma Dehn umlagern. Herr Dehn jr. will uns auf dieser Studienfahrt in das Ruhrgebiet schleusen. Während der Bus noch vor dem Abfahrtstermin pünktlich am Bahnhof Neumünster steht und wir alle eingestiegen sind, stellt sich heraus, dass die Bundesbahn mit ihren Fahrgästen aus Bordesholm noch nicht zur Stelle ist.

Endlich gibt es das lang erwartete Startzeichen und wir rollen über den Kuhberg und den Großflecken in die Altonaer Straße ein. Unsere Reisegesellschaft besteht aus den Bossen und Reiseleitern, Herrn Puttfarken und Herrn Wagner, außerdem aus unserem Fahrer, Herrn Dehn und uns Schülern. Nach etwa einer Stunde Fahrzeit nähern wir uns dem erwachenden Hamburg. Nach kurzer Durchfahrt und Querung der Elbbrücken befinden wir uns schon auf der Autobahn nach Bremen. Am Ende der Autobahn lassen wir Bremen rechts liegen und fahren weiter über Osnabrück durch den Teutoburger Wald nach Münster.

Friedensaal in MünsterHier ist der erste große Aufenthalt geplant. Da es bereits Mittag geworden ist, dürfen wir erst einmal die Münstersche Küche probieren. Nach erfolgter Stärkung sehen wir uns dann den Friedenssaal im Rathaus an. Hier und in Osnabrück wurde 1648 der Westfälische Friede geschlossen. Der Vertrag wurde Grundlage für vielerlei Verträge, die das heutige Völkerrecht entstehen ließen. Das Gebäude war zum Teil durch Kriegseinwirkung beschädigt, doch war der Saal nach der Währungsreform 1948 zu seinem 300jährigen Bestehen wieder völlig so hergerichtet, wie bei dem Friedensschluss vor 300 Jahren.

Der Saal ist mit einer Rundbank versehen; auf ihr liegen noch dieselben Kissen, auf denen die Abgesandten damals gesessen haben. An den Wänden hängen Bilder aller derer, die als Abgesandte hier teilgenommen haben. Von der Decke hängt eine, in kunstvoller Schmiedearbeit gefertigte, mit einem Hirschgeweih verzierte Lichterkrone. Eine Wand ist ganz mit kleinen Fächern ausgefüllt, die alte Stadtakten beherbergen. An der gegenüberliegenden Wand sind alte Rüstungen und Gesichtsmasken für zum Tode Verurteilte, sowie Folterinstrumente zu sehen. Durch die sachkundige Erklärung aller Dinge durch einen Führer ist uns alles in verständlicher Form dargeboten worden.

Nach dieser Besichtigung haben wir noch Gelegenheit, das Hypertheater en miniature zu sehen. Hier hat sich Münster ein ganz modernes Theater geschaffen, was in seiner Gesamtheit zu den modernsten gezählt werden darf, die es in Deutschland gibt. Die Krönung dieses Bauwerkes ist der von Picasso selbst geschaffene Blitz, verewigt durch ein Drahtgestänge, dessen Wert 12 000 Mark beträgt. Wir begeben uns wieder an den Ausgangspunkt unserer "Stadtbesichtigungsexpedition" zurück.  

Wir fahren nun weiter nach Waltrop zum Schiffshebewerk Henrichenburg, wo wir mit ansehen können, wie voll beladene Schuten und Lastkähne von einem höher gelegenen Kanal in einen tieferen gebracht werden oder umgekehrt. Es ist ein eigenartiges Bild, wie sich der Behälter mit dem darin schwimmenden Schiff langsam hebt und bis an den höheren Wasserspiegel gehoben wird. Die dafür erforderliche Kraft wird durch drei große Schwimmtanks gegeben, die sich in langen Röhren unterhalb des Behälters befinden. Die Tanks sind so bemessen, dass sie durch ihren Auftrieb das Gewicht des Behälters samt Schiff überwinden können. Vier große Schraubenspindeln, die sich langsam drehen, geben die Führung ab. Nachdem diese Sehenswürdigkeit gebührend bestaunt ist, bringt uns der Bus zur Jugendherberge Ratingen bei Düsseldorf. Die Jugendherberge liegt idyllisch am Rande eines Waldes abseits der Stadt. Trotzdem entschließen sich einige, das Dorf näher kennenzulernen. Auf dem Wege dorthin hören wir das Schlagen einer Nachtigall . Voller Vorfreude auf den nächsten Tag legen wir uns ins Bett.

 2. Tag Donnerstag 23. Mai 1957

Heute sind wir in Düsseldorf-Ratingen

und zwar zum Besichtigen der Mannesmann Röhrenwerke. Nachdem die Formalitäten beim Pförtner erledigt sind, fahren wir in den großen Vorhof. Die Mannesmann Röhrenwerke gehören zu den Rohrproduzenten, die zu den bedeutendsten Europa gezählt werden dürfen. Nach dem Kriege standen sie auf der Demontageliste. Die großen Maschinen wurden in mehrere Länder verschleppt, und die Hallen lagen zerstört. Doch nachdem der "Morgenthauplan" von den Alliierten fallengelassen worden war, begann der Aufbau. Heute werden die Maschinen vielfach auf Automation umgestellt, und überall entstehen neue Hallen. - Wir werden in drei Gruppen aufgeteilt; uns wird zuerst die Fabrikation der Rohre mit Naht gezeigt. Obwohl man bei dem Wort "Mannesmann" zuerst an die nahtlosen Rohre denkt, haben sich die Verantwortlichen des Werkes entschlossen, die Großproduktion von Nahtrohren aufzunehmen. - Wir steigen auf eine Galerie, von wo aus wir einen umfassenden Überblick über die gesamte Anlage erhalten.

Große Rollen von Bandstahl werden zusammengeschweißt, so dass sich ein praktisch endloses Band bildet. Der Bandstahl wird erwärmt und durch besonders geformte Rollen in seine runde Form gedrückt. Sie laufen durch einen Schweißautomaten und werden verschweißt und geglättet. Das Ausgangsprodukt sind 3''-Rohre. Aus ihnen werden alle anderen Durchmesser gefertigt. Wenn die Rohre kleiner als 3" werden sollen; so werden sie in einem gasbeheizten Ofen erwärmt, und dann durch drei besonders geformte Rollen kleiner gewalzt. Die Rollen sitzen in Ringen; drei Stück in gleichmäßigem Abstand. Sie werden immer enger bis sie zuletzt den Nenndurchmesser des entsprechenden Rohres haben. - Durch eine mitlaufende Säge werden gleichmäßige Längen abgeschnitten, noch während das Rohr die Ziehringe verlässt. Die Rohre kühlen langsam ab und werden mit heißer Lauge durchspült. Nachdem sie entgratet und angefast sind, versehen Schneideisen drei Rohre gleichzeitig an den Enden mit Gewinde. Sie fallen in eine Fangvorrichtung und ein Kran bringt das Bündel ins Lager.

Nachdem wir diesen Arbeitsprozess gesehen haben, gehen wir in die große Halle, wo die nahtlosen Rohre nach dem Pilgerschrittverfahren hergestellt werden. Im Pilgerschrittwalzwerk werden dickwandige Hohlkörper in großen Öfen auf Hellrotglut erhitzt, auf einen Dorn gezogen und schrittweise gegen die Umlaufrichtung zweier exzentrischer Walzen gedrückt. Die exzentrische Form der Arbeitswalzen hat zur Folge, dass der Hohlkörper ein kurzes Stück eingekerbt wird, welches gleich darauf ausgewalzt wird. Danach presst man das Rohr wieder gegen die Walzen. Nach mehreren Minuten ist aus dem dickwandigen Hohlkörper ein nahtloses Rohr geworden.

in Bonn, JugendherbergeWir dürfen auch noch einen Blick in die große Schmiedehalle werfen, wo durch Pressluft- oder Dampfhämmer rot glühende Blöcke bearbeitet werden. Nach dieser anstrengenden Besichtigung lädt uns die Firma zu einem Mittagessen ein, das wohl jedem mit besonderem Behagen gemundet hat.

Am Nachmittag ist ein Stadtbummel durch Deutschlands schönste Straße, die Königsallee in Düsseldorf, angesetzt. Bei wunderschönem Wetter haben wir hier mehrere Stunden Zeit, uns Statuen und Wasserspiele, aber auch moderne Wagen und Geschäfte anzusehen Besonders das "Amerikahaus" in seiner überwältigenden Fülle an Waren hat es vielen angetan.

Die Zeit ist schnell verflogen, und schon befinden wir uns wieder im Bus auf der Fahrt nach Bonn in die Jugendherberge. Diese moderne Herberge außerhalb der Stadt macht der Stadt Bonn alle Ehre. Leider meint das Wetter es nicht gut mit uns, und so sitzen die meisten nach dem Abendbrot an den Tischen und schreiben. Als es schummrig geworden ist, finden sich die Herbergsgäste im großen Gemeinschaftsraum ein, um mit Lautenbegleitung Wander- und Abendlieder diesen Tag zu beschließen.

 

3. 3. Tag Freitag 24. Mai 1957Tag 24. Mai 1957

Um 8:30 Uhr sind wir heute pünktlich vor dem Bundestagsgebäude.

Am DrachenfelsNachdem wir unsere Eintrittskarten bekommen haben, dürfen wir auf der Publikumstribüne des Bundestagsgebäudes Bonn Platz nehmen.  Von hier aus haben wir einen totalen Rundblick über alle Abgeordneten des Hauses. Der Saal unter uns füllt sich langsam, und auch auf der Pressetribüne warten einige Journalisten. Alle drei Eingangstüren sind nach Norden gerichtet; das hat seine Bewandtnis: Bei dem so genannten Hammelsprung kommen die Ja­Stimmen durch die rechte Tür, die Nein-Stimmen links herein und die Stimmenthaltungen durch die mittlere Tür. Der Hammelsprung wird angewandt, wenn bei der Abstimmung durch Zuruf das Stimmenverhältnis nicht eindeutig ermittelt werden kann. Zur pünktlich festgesetzten Zeit erscheint, durch einen Gongschlag angekündigt, der Bundestagspräsident. Sowohl der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende, Dr. Konrad Adenauer, als auch der Vorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer, waren auf Dienstreise und somit nicht anwesend. Obwohl die beiden Größen fehlen, wickelt sich vor unseren Augen ein heftiger Meinungsaustausch ab, der sich immer in demokratischem Sinne bewegt. Zwei Stunden lang dürfen wir uns die Lesung eines neuen Gesetzes mit anhören. Dann müssen wir uns leider zurückziehen, da noch andere Gruppen warten.

Herr Puttfarken hat noch eine Diskussion mit dem Bundestagsabgeordneten, Herrn Hans Blöcker, der in Neumünster die CDU vertritt, zustande gebracht. Hier können wir unser staatsbürgerliches Wissen vervollständigen und interessante Einzelheiten über die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten erfahren.

Auf dem DrachenfelsAm Nachmittag können wir landschaftlich wunderschöne Eindrücke sammeln. Wir sind mit dem Bus den Rhein entlanggefahren bis an den Fuß des Drachenfels. Unser Ausgangspunkt ist Königswinter. Dann bekommen wir bis zum Abend Zeit und können unsere Kräfte auf dem ziemlich steilen Weg bergan abreagieren. Unterwegs auf der unüberwindbar scheinenden Strecke laden viele kleine Weinwirtschaften zum Verweilen ein. Nachdem man den lehmig, felsig, feuchten Weg erklommen hat, wird man hundertfach belohnt. Der Rhein liegt als graublaues Band eingepfercht zwischen die zum Teil sanft oder aber steil ansteigenden Berge, die vielfach mit Weinreben bepflanzt sind. Lastkähne, oft drei bis vier hintereinander, kriechen, gleich Ameisen auf einer Betonbahn, langsam und geräuschlos dahin. In der Mitte des Stromes unter uns liegt wie in Tropfenform die Insel Nonnenwerth. Aus dem Dunst der fernen Berge kommt langsam und mit lautem Motorengeräusch eine "Fliegende Zigarre", ein Zeppelin auf uns zu. Er zieht eine Schleife und fliegt langsam weiter. Am Rheinufer kriecht eine Karawane voll beladener Güterwagen vorbei, angeführt von einer langen weißen Rauchfahne. Eindrücke kommen und gehen, und wenn man genug gesehen hat, setzt man sich direkt unterhalb der Burgruine auf die Terrasse des Burghotels und lauscht bei einem Glas Wein dem Gesang eines einheimischen "Troubadours". Alles hat einmal ein Ende, auch unser Besuch auf dem Drachenfels. Noch ein Blick zurück, und dann geht es mit Gesang hinab nach Königswinter.

Die Fahrt geht weiter nach Honnef. Die Jugendherberge liegt landschaftlich wunderbar auf einer Anhöhe. Von hier aus kann man die Silhouette des Drachenfelses, besonders im fahlen Abendschimmer sich schwarz vom grauen Himmel abheben sehen. Da auch eine gleichaltrige Mädchengruppe im Heim ist, unternehmen viele gemeinsam noch einen kleinen Trip in das Dorf' der durch die Felder. Heute soll ebenso wie morgen, am Sonntag, ausgespannt werden.

 4. Samstag Tag 25. Mai 1957

Ein wunderbar strahlender Tag gibt uns Gelegenheit,

1957 am Deutschen Eck in Koblenzeine kleine Fahrt an die Ahr zu unternehmen. Während wir zuerst noch den Rhein neben uns haben, befindet sich bald an seiner Stelle ein kristallklares Flüsschen, das sich seinen beschwerlichen Weg durch das graubraune Schiefergestein bahnt. Es ist die Ahr, die bei Remagen in den Rhein mündet. Dieses wildromantische Tal, das die Ahr in unersättlicher Nagearbeit schuf, dessen steile Bergwände in Stufen empor führen, bildet das größte geschlossene Rotweinanbaugebiet in Deutschland. Es ist ein eigenartiger Anblick, wenn man an den steilen Berghängen die scheinbar aus dem Schiefergestein sprießenden Weinreben sieht. In der Ortschaft Mayschoss, sozusagen an der Quelle, schlagen wir unser Lager auf. Da das Essen im Hotel zu teuer ist, hat sich unser Reiseleiter einen neuen Clou einfallen lassen; Jeder bekommt zwei Brötchen und zwei große Bockwürste in die Hand gedrückt, und dann wird eifrig, auf der Ufermauer der Ahr sitzend, gegessen.

Jetzt kommt der Hauptteil: Die Besichtigung eines Weinkellers! Es ist ein Weinkeller, der ca. 1,5 Millionen 1 Fassungsvermögen hat. Er gehört der im Jahre 1868 gegründeten Mayschosser Winzergenossenschaft. In langen Reihen stehen hier unzählige Fässer, und mancher hätte gern eines im Koffer verstaut. In einem Stimmungskeller haben wir ausreichend Gelegenheit, den roten. Traubensaft zu probieren, und mehr als einem hat es der Ahrwein angetan. Lustige Lieder und heller Gläserklang lösen einander ab. Manchem, der sonst schweigsam dasitzt, löst er die Zunge, und man sieht viele lachen wie nie zuvor. Aber wenn es am schönsten schmeckt, soll man aufhören.

Als frohe Gesellschaft verlassen wir am Nachmittag dieses fröhliche Städtchen. Wer jetzt denkt, dass wir umkehren, der hat weit gefehlt! Es geht noch weiter das Ahrtal hinan. Immer begleiten uns Weinberge und das muntere Bächlein. Doch langsam wandelt sich die Gegend, und statt mit Weinreben bepflanzter Berge dehnen sich sanfte Kuppen und grüne Weiden aus. Die Straße wird immer steiler, und es geht in Haarnadelkurven serpentinenartig aufwärts. Dann fallen uns die vielen Reklameschilder und Fahnen der Autoindustrie auf, und schon können wir eine breite Asphaltstraße sehen: Wir sind am Nürburgring. Schnell wird aus dem Autobus gesprungen, und schon stehen wir neben der Rennbahn. Hier wird heute das ADAC-1000-km-Vorentscheidungsrennen ausgetragen. Während ein silbergrauer Porsche über den rauen Asphalt jagt, knatternd und dröhnend die Kurve nimmt, kommt schon wieder ein rot angestrichener Wagen in sausender Fahrt. Die Fotoenthusiasten versuchen, einen Wagen auf den Film zu bannen, und wir lachen herzlich, als einer einen Rennwagen knipst, der noch gar nicht da ist. Ja, ja, das kommt vor.

Unsere Heimfahrt führt uns dann durch die Eifel. Viele kleine Städte ziehen an uns vorüber; Einige ältere Häuser sind ganz aus Schiefergestein. Endlich machen wir Halt. Wir sind in Koblenz, direkt auf dem Deutschen Eck. Hier haben wir einige Stunden Aufenthalt. Die Festung Ehrenbreitstein schaut breit und behäbig von einem Felsen am anderen Rheinufer. Da mich Koblenz sonst nicht interessiert, unternehme ich einen Abstecher zur Festung. Am Fuße dieses Schieferfelsens angekommen, muss ich feststellen, dass ich für Auf- und Abstieg nur noch eine halbe Stunde Zeit habe. Ich haste die Serpentinen, die steil den 120 m hohen Felsen hinaufführen, entlang; doch nach wenigen Minuten bin ich außer Atem. Als ich dann endlich an der Umfassungsmauer stehe, die wohl 2 m dick ist, und durch eine der unzähligen Schießscharten sehe, bin ich für alles entlohnt. Im leichten Dunst stehen die Moselbrücken. Touristen, kleiner als Ameisen, stehen auf dem Deutschen Eck und die trübe Masse des Rheins, in der ein Raddampfer sich flussaufwärts schiebt, wälzt sich langsam vorwärts.

 

5..5. Sonntag Tag 26. Mai 1957 Tag 26. Mai 1957

Bei wunderschönem Wetter beherbergt uns heute die Domstadt Köln.

In Köln gewesen und den Dom nicht gesehen zu haben, ist ungefähr dasselbe, wie in Rom gewesen und den Peters Dom  nicht beachtet zu haben. Wie durch ein Wunder hat dieses christliche Monument inmitten der schwer zerstörten Stadt kaum Schaden genommen. Sieht man davon ab, dass die unersetzlichen farbigen Fenster nicht erhalten geblieben sind, so steht hier ein gewaltiges Mahnmal für religiöse Toleranz im Herzen Deutschlands. Dieser schönste aller deutschen gotischen Bauten wird immer mehr Touristenmittelpunkt. Der Dom ist ohne Zweifel einer der größten baumeisterlichen Leistungen der vergangenen Jahrhunderte. Wer die 500 Stufen der lebensgefährlichen Treppe, die bis zur Spitze führt hinauf geschafft hat, der schimpft über die enge Wendeltreppe, die nicht für Massenbetrieb und Gegenverkehr eingerichtet ist. Aber als wir endlich oben sind breitet sich unter uns das Panorama der Stadt aus. Das Verweilen in dem majestätisch erhabenen Bauwerk ist für manchen von uns ein einmaliges Erlebnis. Wenn zum Erlernen einer Fremdsprache ein Aufenthalt in dem Lande, in dem diese Sprache gesprochen wird lehrreich ist, so ist  zum Studium der Kultur und den kunsthistorischen sowie kirchengeschichtlichen Leistungen unserer Vorfahren die Anschauung dieser kulturellen Höchstleistung mit größtem Respekt zu betrachten. Noch überwältigt von dem Eindruck, den der Dom auf uns gemacht hat, sehen wir uns das neue, moderne Gegenstück dazu an. Es ist das Theater gegenüber, auferstanden aus Schutt und Asche: Es ist ein Bauwerk aus Glas, Marmor und Beton. Es ist fraglich, ob dieser superkolossale Bau bei uns denselben Eindruck hinterließ, wie der Dom.

Den Nachmittag verbringen wir in der Bundesgartenschau auf der anderen Rheinseite. Da auch wir alles mitnehmen möchten, was uns hier geboten wird, wollen wir mit der neuen Schwebebahn, die hunderte Meter, gestützt nur durch zwei große Stahlpfeiler, über den Rhein führt, fahren. Als wir bei der Anfangsstation ankommen, müssen wir jedoch erkennen, dass es Stunden dauern würde, ehe wir mitfahren könnten Danach bleibt als rettender Engel Herr Dehn, der sich bereit erklärt, uns mit dem Bus bis zum Ausstellungseingang zu bringen.

Jeder von uns erhält eine Eintrittskarte; danach verteilen wir uns rasch auf dem so weitläufigen, Gelände. Auf dieser großen Fläche ist fast alles an Blumenprominenz zu finden, was man sich vorstellen kann. Ich setze mich auf eine Bank am Rheinufer, und während hinter mir aus dem Stadtdunst die beiden Türme des Domes ragen und unter mir die Schleppkähne blubbern, breitet sich zwischen alten Ulmen eine große Rasenfläche aus, die nur von den Blumenrabatten und der Kleinbahn für Wanderfaule unterbrochen wird. Kraniche stehen statuenhaft, unbeweglich auf einem Bein, und von der Freilichtbühne her klingt leise Tanzmusik. Ein kalter Hauch kündet den Abend und die Sonne versinkt, mit ihren letzten Strahlen alles rot überflutend, hinter den Brücken.

Da wir heute ausnahmsweise bis um 23:30 Uhr Ausgang haben, leisten wir uns von unserem Sondergeld für diesen Tag einen Schnellimbiss und dann wird ein zünftiger Stadtbummel gemacht. Obwohl in der Stadt am Tage ein gewaltiges Leben und Treiben pulsiert, liegt die Hauptstraße ziem­lich ruhig da; nur selten klingelt eine Straßenbahn oder fährt ein Auto. Die auf die Straße gestellten Tische sind, da es nicht allzu warm ist, so gut wie leer, und ab und zu wird von einem der leeren Tische von einem routinierten Sammler ein Bierdeckel fortgezaubert. Auf der Suche nach einer exklusiven Bar machen wir die Bekanntschaft des Pförtners von "tabu'. Aber wir dürfen nicht hinein, weil keiner von uns 21 Jahre alt ist. So ziehen wir es vor, von Bar zu Bar zu wandern und überall einmal die Biermarke zu probieren.

Bei der Volkszählung um 23: 30 Uhr stellt Herr Puttfarken fest, dass alles versammelt ist, was ihn mehr in Erstaunen setzt als uns. Wir ziehen uns in aller Stille aus, und es dauert nicht lange, so herrscht völlige Ruhe im Schlafsaal der Jugendherberge Köln.

 

6.6. Tag Montag 27.Mai 1957 Tag 27. Mai 1957

„Wohlan, die Zeit ist kommen, mein Pferd das muss gesattelt sein...“

Laut und deutlich weckt hier der Herbergsvater durch ein Wanderlied, das er mit Lautenbegleitung auf dem Flur singt. Müde fahren wir hoch; was, - es ist schon so weit? Man reckt seine Glieder und möchte ja so gerne aufstehen, aber die Augen wollen immer wieder zufallen. Trotz vielfacher Müdigkeit sind wir zur festgesetzten Zeit um 9:00 Uhr auf dem Werksgelände der Firma Felten und Guilleaume in Köln-Mühlheim, die als Kabelwerk einen ausgezeichneten Ruf hat. Wir finden in drei zwanglosen Gruppen zusammen, und dann beginnt die Führung durch die Hallen. (Anmerkung: 1960 verfügte die Felten & Guilleaume Carlswerk AG über ein Kapital von 93 Mio. DM und hatte eine Belegschaft von 23.560 Mitarbeitern).

Wir gehen vorbei an den langen Reihen gegossener Kupfer-Rohblöcke, die zum Teil aus Elektrolytkupfer bestehen und sehen uns den Schmelzofen an. Es ist eine kippbare Wanne, über die heiße Verbrennungsgase geblasen werden. Die Wanne ist gefüllt mit flüssigem Kupfer, ein junger Birkenstamm dient zum Umrühren. Das flüssige Kupfer besteht aus Kupferschrott und Kokillen. Es erstarrt in kleinen Masseln, die rund 1,5 m lang sind, sie werden auf Vorrat gestapelt. In einem gasbeheizten Ofen werden Kupfermasseln auf Walztemperatur erhitzt. Sie laufen dabei auf einem Wanderrost langsam durch den ganzen Ofen. Rotglühend fallen sie am Ende des Ofens heraus und werden zwischen die Walzen gebracht. Die Walzen, die ein offenes Kaliber haben, formen aus dem Rohling in mehreren Arbeitsgängen ein Rundmaterial, welches, wenn es die Stärke von 6 mm erreicht hat, auf große Trommeln aufgespult wird. Will man dünneren Draht haben, so wird er kalt gezogen. Jetzt befinden wir uns in der Halle, in der die ganz feinen Drähte gezogen werden. Der Draht wird durch 10 - 20 Diamantscheiben, die eine winzige konische Öffnung haben, gezogen. Es gibt da Drähte von nur mehreren hundertstel mm Stärke. Diese Arbeit der Maschinenüberwachung wird vielfach durch Frauen ausgeführt.

In einer weiteren Halle werden mehrere Drähte miteinander verspult. Sie werden so gewickelt, dass sie ein Dreieck bilden, dessen eine Kante rund ist. Die geraden Schenkel bilden einen Winkel von 120 Grad. Immer drei Drahtbündel werden dann zusammengewickelt und bilden ein rundes Kabel. Dieses Kabel wird mit imprägniertem Papierband umwickelt. Es wird in große Behälter eingerollt, die unter Luftabschluß erwärmt werden können: Das Kabel wird hier in einer Masse getränkt, die es gegen Korrosionseinflüsse immun macht. Danach sehen wir uns die Panzerung an: Das Kabel wird mit getränkter starker Pappe und mit dünnem Stahlband umwickelt. Jetzt folgt der letzte Akt; eine witterungs- und mechanisch unempfindliche Umhüllung wird aufgepreßt. Der Arbeitsvorgang ist folgender:

Zwei Aluminiumblöcke, die elektrisch vorgewärmt worden sind, werden in die Presse gesetzt; oberhalb und unterhalb des Kabels je einer. Das Kabel verläuft zwischen beiden. Die Aluminiumblöcke werden nun hydraulisch von oben und von unten mit großer Kraft durch ein enges Loch gegen das Kabel gedrückt, welches durch ein Loch gezogen wird, das größer ist als der Durchmesser des Kabels. Das Spiel, das sich zwischen Kabel und Loch bildet, wird mit Aluminium ausgefüllt, das sich mit dem Kabel durch das Loch zwängt. So bildet das Aluminium einen nahtlosen, festen Schutzmantel um das ganze Kabel. Gleich darauf wird das Kabel, welches noch heiß ist, in einem Wasserbad abgekühlt.

Danach werfen wir noch einen Blick in die sauberen und modern eingerichteten Lehrlingsausbildungsstätten. Nach dieser eindrucksvollen Führung finden wir uns wieder auf dem Vorplatz zusammen. Die Firma lässt es sich nicht nehmen, uns ein gutes und reichliches Mittagessen vorzusetzen. Da wir nach der Besichtigung noch genügend Zeit hatten, machten wir einen Abstecher zum Altenberger Dom im Bergischen Land.

Schlicht und klar in den feinen Formen der Frühgotik von 1250 steigt das turm­lose Gotteshaus aus Wiesengrund ins Sonnenlicht. Das Innere birgt die Gräber der bergischen Grafen, deren alte Stammburg um 1113 in das Zisterzienser Kloster Altenberg umgewandelt wurde. Edel glie­dert sich der bescheiden weiß getünchte Raum. Die Einfachheit dieser Halle fällt zwar durch ihre Leere und den einfarbigen Anstrich besonders auf; aber sie ist ein berechnetes Mittel seiner Wirkung. Die ein­fachen Fundamente klingen in streng erwogener Gliederung aus; und was die grauen, ungeschmückten Wände verschweigen, das jauchzen die feinen Glasfenster ringsum, zwar auch nicht laut und bunt, zum Teil nur in Griesemaillemalerei, doch lebendig schillernd aus.

Unweit des Domes fanden wir eine Wirtschaft mit einem herrlichen Märchenwald. Der Besitzer hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ein kleines Waldstück den Gebrüder Grimm zu widmen, und somit die Bil­der aus ihren Märchen versinnbildlicht. In der Schenke selbst war ein kleines Wasserspiel errichtet worden. Wir hatten Gelegenheit, dieses herrliche Spiel zu betrachten und waren begeistert von dem aufsteigenden und fallenden Wasser, dem flutenden Licht, das seine verschiedenen Farben an den Fontänen bricht. Orpheus aus der Unter­welt wurde dargeboten, und wir waren überrascht, welche Wirkung das Wasser, in der Gewalt des Organisten, auf uns Menschen ausüben kann, wenn man gewillt ist, das Schauspiel zu verstehen.

Als wir im Bus, der uns nach Krefeld brachte, saßen, sprachen wir noch oft voller Begeisterung von dem Gesehenen. Krefeld, eine unfreundliche Industriestadt, bot uns am Abend nicht viel Abwechslung, so vertrieben wir uns die Zeit mit Sport und Spiel. Nach einer kräftigen Suppe finden wir uns beim Ballspiel, oder wir beschnüffeln noch einmal das Dorf. Um 21:00 Uhr ist Zapfenstreich, doch bevor völlige Ruhe herrscht, muss Herr Puttfarken noch in der Tür erscheinen und mit energischen Mitteln die Ruhe herstellen. Es wird spät, ehe die letzten sich auf die Seite drehen und bevor das Kofferradio schweigt.

 7. Tag Dienstag 28.Mai 1957

Unsere Jugendherberge in Krefeld ist malerisch gelegen.

Wir sind untergebracht in einem Herrenhaus, das zwischen alten Bäumen unweit der Straße liegt.

Wir besichtigen heute die Deutschen Edelstahlwerke in Krefeld. Nachdem wir ausgestiegen sind, bekommt jeder von uns im Pförtner­haus einen gepressten Aluminiumhelm. Wir sind gespannt auf das Kommende, und das erscheint in Form eines Führers, der uns zuerst in einer engen Raum führt und uns eine Stunde lang über den Werdegang der Firma und alle ihre sozialen Vorzüge aufklärt. Da kein Stuhl oder Bänke vorhanden sind, stehen wir, den Aluminiumhelm auf dem Kopfe. Dann beginnt endlich die Führung.

In diesem Werk werden alle Stahlsorten hergestellt, die die sechs Schwesterfirmen für ihre Produktion brauchen. Wir betreten eine riesige Halle und stehen dann vor einer Batterie Elektroöfen. In ihnen werden Eisenbarren und die Zusätze an Chrom, Nickel und Vanadium durch zwei große Kohleelektroden erschmolzen. Zu jedem Ofen gehört ein Transformator und ein Schaltschrank, in dem Diagramme die Arbeitsweise des Ofens graphisch festhalten. Wir sehen uns den Abstich eines Elektroofens an, der seinen flüssigen Edelstahl in einen Abfüllbehälter gibt. Aus ihm werden die Kokillen gefüllt, die zum Teil zylindrisch sind und sich konisch nach oben verjüngen. Die Rundblöcke werden geglüht, weil sie sich sonst nicht bearbeiten lassen. Auf großen Drehvollautomaten älterer Bauart werden die zylindrische Oberfläche der Rundblöcke durch einen Schruppspan metallisch geglättet.

Danach sehen wir uns die Fabrikation von korrosionsbeständigen Blechen an. Die Walzknüppel werden in einem Duowalzwerk auf ungefähres Nennmaß gewalzt. Durch Beizen wird der Zunder entfernt und die einst dunklen Bleche erhalten eine mattierte helle Oberfläche. In einer großen Walze werden sie auf genaues Maß gewalzt. Die Wal­zen sind hart verchromt; außerdem ist darauf zu achten, dass sowohl Blech als auch Walze staubfrei sind und nicht mit den Händen be­rührt werden. Die Platten werden in versandfertige Größen geschnitten.

Unser Bus hält vor der Jugendherberge in Duisburg-Harnborn. Ein altermehrstöckiger Wachturm, direkt am Rheinufer, ist gut ausgebaut und gibt eine romantische Aufenthaltsstätte ab. Nach dem Abendessen schlendern wir zur neuen großen Hängebrücke, die den Rhein in wei­tem Bogen harmonisch überspannt. Von einem nahen Industriewerk kommen mit Rauch und Qualm auch Laute der Arbeit zu uns herüber. Plötzlich spuckt ein Schlot in weitem Bogen einen Funkenregen in das Dunkel.

Wer vorm Schlafengehen noch einen Blick aus dem Turmfenster wirft, der sieht die grüne Brücke erleuchtet durch Straßenlaternen, die ihr orange farbiges Licht auf den Asphalt werfen. Autoscheinwerfer, Leuchtkäfern ähnlich, kommen und gehen.

 

 8. Tag Mittwoch 29.Mai 1957

Heute geht unsere Fahrt zu Ende.

Aber es ist noch eine große Besichtigung vorgesehen: die August Thyssen Hütte, Duisburg-Hamborn. In zwei Gruppen geteilt betreten wir das riesige Werksgelände. Wo­hin man auch schaut, überall Staub, Staub und noch einmal Staub. Die August-Thyssen-Hütte war das größte und wohl auch interessanteste Unternehmen, das wir auf unserer Fahrt sahen. Mehr als fünf  km², auf denen 9000 Arbeiter beschäftigen sich, stehen der Stahlerzeugung zur Verfügung.

Das Eisenerz gelangt mittels Schiffen in den eigenen Umschlag­hafen, der auf  9 Millionen Tonnen ausgelegt ist. Mit der Eisenbahn, es sind im Werk 500 km Schienen verlegt, wird das Erz zu den Schmelzöfen gebracht. Der größte Kran Westeuropas mit 375 to Hebeleistung steht dafür  zur Verfügung. Das Erz gelangt zunächst einmal in die Hochofen, wo es mit den verschiedensten Zusätzen zum Schmelzen gebracht wird. Die Hütte hat 6 Öfen von 30 m Höhe bei einer Tagesleistung von ca 1000 to, wobei der Wasserverbrauch so hoch ist, dass man da­mit eine Stadt von 75 000 Einwohnern versorgen könnte, während der Kohlenverbrauch 200.000 to im Monat beträgt. Neuerdings sollen die Hochöfen mit Öl beheizt werden, um dadurch ein rationelleres und vor allen Dingen billigeres Arbeiten zu ermöglichen.

Nach dem. Abstich am Hochofen wandert das flüssige Roheisen in die Abstichpfannen, die 45 to fassen und von E-Loks zum Roheisenmischer befördert werden. In der Thomasbirne, deren Gebläse zum größten Teil aus reinem Sauerstoff besteht, werden dem Stahl alle Unreinheiten entzogen, um dann zu Kokillen gegossen zu werden. Die Kokillen müssen, um die nötige Walztemperatur zu haben, in Tiefglühöfen nochmals erwärmt werden. Auf den großen, ferngesteuerten Blockstraßen werden sie dann zu 90 m langen und  8 - 16 to schweren Knüppeln verarbeitet.

Bleche bis zu 1,5 mm Stärke werden warm gewalzt, alle darunterliegenden Tiefziehbleche für Autos usw., werden kalt gewalzt. Dem erst neu in Betrieb gestellten Breitbandwalzwerk, das einzige in ganz Europa, wandten wir unsere größte Aufmerksamkeit zu. Das Blech rast mit einer Geschwindigkeit von 12 m/sec, das sind ca. 45 km/h, durch die Walzen, um dann einer plötzlichen Abkühlung ausgesetzt und zu Rollen aufgewickelt zu werden. Die handelsüblichen Maße werden dann mit einer vollautomatischen Schere, die in einem Arbeitsgang greift und schert, auf Maß abgeschnitten.

Als wir all diese Dinge, denen stets unsere volle Aufmerksamkeit zur Verfügung stand, gesehen hatten, hatten wir nur noch einen Wunsch, möglichst schnell den Betrieb verlassen zu können. Die Hitze, die Luft, der Staub und die gewaltigen Wege, die wir zum größten Teil noch mit dem Bus erledigen konnten, hatten ihre Spuren auf uns hinterlassen. Aber wir sollten für unsere Anstrengungen fürstlich belohnt werden, in einer Wirtschaft, wo wir uns bei Schnaps, Bier, Zigaretten und nicht zuletzt das reichliche und ausgezeichnete Essen auf Kosten der Thyssen­Hütte kennen lernten und uns erholen konnten.

Nach dem Mittagessen wurden wir noch zu einem Film, der innerhalb des Werkes gedreht worden war eingeladen, um die betriebliche Atmosphäre und Arbeitsweise stärker bei uns einzuprägen. Mit dem Verlassen der August-Thyssen-Hütte war unsere Reise praktisch zu Ende. Denn jetzt ging es auf dem schnellsten Weg der Heimat entgegen.

Alles schlief, spielte Karten oder las, die Landschaft bot uns nichts Neues und jeder war deshalb beschäftigt. Bis wir zur Westfälischen Pforte oder auch Porta-Westfalica genannt, die vom Wiehen- und Wesergebirge gebildet, eine 650 m breite Austrittspforte der Weser ins Tiefland bei Minden bildet, da wandte sich unsere Aufmerksamkeit der schönen Landschaft zu.

An der Überführung des Mittellandkanals über die Weser bei Minden machten wir halt, um auch wirklich alle Sehenswürdigkeiten betrachtet zu haben. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges war im Jahre 1945 die Brücke von zurückweichenden deutschen Truppen gesprengt worden. Im Februar 1949 war sie wieder instand gesetzt und dem Verkehr übergeben worden. Während der Heimfahrt übermannte uns ein so großer Hunger, dass sich die Reiseleitung verpflichtet fühlte, mit Würstchen und Bier Abhilfe zu schaffen.

Als wir in unserer Heimatstadt Neumünster eintrafen, war für uns die Exkursionsfahrt, die wirklich alle unsere Erwartungen übertroffen hat­te, beendet, und wir glauben, Herrn Puttfarken und Herrn Wagner an dieser Stelle für ihre außerordentlichen Bemühungen danken zu dürfen.

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